Hannover. Am Samstag, 8. und Sonntag, 9. September 2007, fand im Hannover Congress Centrum (HCC) der Jugendtag der Neuapostolischen Kirche in Mitteldeutschland statt. Mehr als 2.500 Jugendliche aus den Gebietskirchen Niedersachen, Sachen-Anhalt und Sachen/Thüringen waren über zwei Tage in Hannover zusammen.
Auch der Seelsorge an Jugendlichen mit Behinderungen wurde in zweierlei Weise Rechnung getragen: Neben anderen Gruppen, die sich am Samstagnachmittag jeweils mit einem Stand präsentierten, gab es unter dem Motto „Mitten drin statt außen vor“ einen Stand, an welchem die Glaubensgeschwister mit Behinderungen Einblicke in den Alltag von Menschen mit verschiedenen Handicaps vermittelten. Außerdem fand eine moderierte Podiumsdiskussion von Jugendlichen mit Behinderungen statt.
Vorgestellt wurden sprechende Uhren und tastbare Buchstaben – Alltagshilfen aus dem Leben sehbehinderter Menschen. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit mit einer besonderen Schreibmaschine seinen Namen in Braille-Schrift zu schreiben, einer fühlbaren Punktschrift. Anhand von Simulationsbrillen wurde es möglich einmal zu erahnen, welche Beeinträchtigungen entstehen, wenn das eigene Sichtfeld eingeschränkt ist oder wenn man aufgrund einer Glaskörper- bzw. Linsentrübung im Auge nur noch Schemen der Umwelt wahrnehmen kann. Ein Tast-Parcours und eine Filmvorführung über das Mobilitätstraining einer Frau mit Sehschädigung vervollständigten diese Eindrücke.
Ein weiterer Anlaufpunkt des Standes war der „Rolli-Parcours“, in welchem der Alltag eines Rollstuhl-Fahrers erlebt werden konnte. Bei der Überwindung mancher Barrieren wurde sehr schnell klar, dass man entweder ein geübter Fahrer sein oder viel Kraft in den Armen haben muss oder auch auf die Unterstützung anderer Menschen angewiesen ist.
Auch die Glaubensgeschwister mit Hörschädigungen stellten verschiedene Formen ihrer Behinderungen und den Umgang damit vor.
Parallel zu den Info-Ständen fanden am Samstagnachmittag verschiedene Workshops statt. Unter anderem wurde ein Gebärdenkurs angeboten. Hier konnte man sich mit einer Kommunikationsform für Menschen mit Hörschädigungen – der Gebärdensprache vertraut machen. Die Teilnehmer dieses Workshops erhielten Eindrücke von der aktiven Mitgestaltung Hörgeschädigter beim Vortrag von Liedern im Gottesdienst, wenn sie mit Gebärden die Texte auch für Nichthörende darstellen.
In einem Podiumsgespräch stellten sich drei Jugendliche mit Behinderungen den Fragen anderer Jugendtagsteilnehmer im Beethovensaal des HCC. Tanja, eine Jugendliche mit einer geistigen Behinderung, Matthias, ein Jugendlicher mit einer Sehbehinderung und Kai, ein Jugendlicher mit einer Querschnittslähmung, gewährten Einblicke in ihr Alltags- und Gemeindeleben. Moderiert wurde das Gespräch von einer Jugendlichen ohne Behinderung, auch Tanja mit Namen.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde, in der alle drei ihren bisherigen Werdegang und ihre aktuelle Lebenssituation – Schul- und Ausbildung, Beruf, Hobbies und Partnerschaft – darstellten, antworteten Matthias und Kai auf die Frage „Wie habt ihr Gott persönlich erlebt?“ Beide waren der Meinung, dass Gott sich in ihrem Leben zum Beispiel durch den Verlauf der Ausbildung, einem regulären Berufsleben und auch in der Entstehung von Partnerschaft beziehungsweise Familie immer wieder erlebbar mache. Auf die Frage nach dem Verhalten ihrer Mitmenschen antwortete Tanja, dass sie auch Zurückweisung erlebt habe, sie den Zurückweisenden aber dennoch freundlich begegnet sei und sie im Verhalten ihrer Mitmenschen letztlich erkannt habe, dass diese „genauso wie wir auch Probleme haben“. Tanja schilderte darüber hinaus auch das Miteinander im Kreis der Jugend. Auch hier habe sie immer wieder mit Nichtbeachtung und Vergessensein von anderer Seite zu kämpfen.
Kai antwortete auf die Frage, ob man Hilfe anbiete dürfe, ausdrücklich mit einem „Ja“ – allerdings solle man vorher fragen und bei einem „Nein“ brauche es dann auch keine Rückfragen mehr zu geben. Kai stellte zudem auch heraus, dass er selbst gefordert sei, gegebenenfalls um Hilfe zu bitten. Auf die Frage, was man sich von Menschen ohne Behinderung wünsche, antwortete Matthias, dass diese mit Menschen mit Behinderungen viel selbstverständlicher umgingen. Sicherlich fiele es auf, wenn er eine SMS schreibt und sich das Mobiltelefon sehr nah ans Gesicht hält. Dann reiche es doch aus, wenn man sich kurz einen Eindruck verschaffe und ihn dann nicht so lange mit den Augen fixiere. Tanja möchte ganz einfach von ihren Mitmenschen respektiert werden.
Die Frage, wie oft man mit dem eigenen Schicksal unzufrieden sei, bringt verschiedene Positionen hervor: Sicher hätte es durchaus die Frage gegeben „Wieso das?“, aber der Verlauf des weiteren Lebens ließe keinen Grund zur Unzufriedenheit bestehen bleiben. Dagegen steht die Aussage, dass die mit der Behinderung verbundenen Zurückweisungen durch Mitmenschen oder zum Beispiel die Einschränkungen, keinen Führerschein machen zu können, schon manchmal Unzufriedenheit aufkommen ließen.
Auf den Unterschied zwischen dem Verhalten der Menschen am Arbeitsplatz und in der Gemeinde erklären Tanja und Matthias, dass im Beruf und im Freundkreis ein guter Umgang mit der Behinderung vorherrsche, weil Freunde und Kollegen das wertschätzten, was man leisten könne und nicht in erster Linie auf das Handicap achten.
Am Ende der Diskussion interessiert eine Jugendtagsteilnehmerin, was die drei Jugendlichen bei den unterschiedlichen Fragen empfunden hätten und ob die Fragen teilweise nicht ein wenig zu persönlich gewesen wären. „Das ist das, was wir täglich erleben – wir müssen Stellung nehmen und das akzeptieren!“ lautete die Antwort. Die Moderatorin Tanja stellt abschließend heraus, dass es wünschenswert und notwendig sei, Ausgrenzung abzubauen und man dazu käme, mehr gemeinsam zu unternehmen. So könne das Motto „Mitten drin statt außen vor“ in die Praxis projiziert werden. Ihr Schlusswort: „Ergreife die Hand deines Nächsten und verändere was!“
© Gruppe Handicapped Westdeutschland